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"Tatort" Berlin: In Deutschland gibt es keine Waffen mehr


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    Eine Tatort-Doppelfolge ist tatsächlich ein Tatort, der doppelt so lang ist wie gewöhnlich. Das sieht man in Teil zwei des langen Berliner Einstands, der für die neue Co-Ermittlerin Bonard (Corinna Harfouch) geschmissen wird. Länge bedeutet hier Gleichförmigkeit, und weil Nichts als die Wahrheit (rbb-Redaktion: Verena Veihl, Josephine Schröder-Zebralla, Cooky Ziesche) insgesamt 180 Minuten Zeit hat, seinen Stiefel runterzuspielen, wird sichtbar, was dieser Tatort kann und was nicht (Drehbuch: Stefan Kolditz, Katja Wenzel, Regie: Robert Thalheim).

    Was nicht: den Figuren Tiefe und Entwicklung spendieren. Der Verfassungsschutzmann Reitemeier (Tilo Nest) bleibt über die gesamte Zeit ein Rätsel – ein irgendwie sinistrer, irgendwie mächtiger Mann, der ungerührt in die Ermittlungen von Karow (Mark Waschke) und Bonard interveniert und sich mit Zuträgern pittoresk im Regierungsviertel an der Spree trifft.

    Dabei böte doch gerade der Spielfilm die Möglichkeit, über einen solchen Charakter zu spekulieren, wenn man schon im richtigen Leben keine Vorstellung davon vermittelt bekommt, wie Verfassungsschutzleute so drauf sind. Der Münchner Polizeiruf hatte 2018 noch zu Zeiten von Matthias Brandts Ermittler Meuffels mal eine Idee, wie man einen Geheimdienstmensch zeichnen könnte, und die war schön – da übersetzte Joachim Król die Macht seiner runtergerockt-zynischen Figur in abgedrehte Gehorsamsbeweiserbringungsrituale.

    Reitemeier ist in seiner Konturlosigkeit nicht allein. Als entscheidende Intrige, auf den die Rechtsterroristen in Nichts als die Wahrheit hinarbeiten, entpuppt sich ein Attentat auf den Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Anton Willser. Den spielt Thomas Dannemann mit lockerem Krawattenknoten und ohne jedes Zeichen von Schicht, Status oder Spezialgebiet. Willser steht auf einer Feindesliste, die Karow und Bonard irgendwann entdecken, weshalb sie den Topjuristen warnen. Der reagiert am Telefon aber wie Bonard im ersten Teil, was nebenher auch zeigt, wie einfallslos das Drehbuch ist bei der Erzeugung von Spannung, wenn es zweimal zum gleichen Mittel greift. Willser ist nicht alarmiert, als die Polizei ihn warnen will ("das sind nur irgendwelche Spinner") und verabschiedet sich aus dem Dialog mit der beliebtesten aller deutschen Drehbuchausflüchte: "Ich muss los."

    Man kann sich schon fragen, weshalb so ein Tatort in einem derart geschichts- und gegenwartslosen Raum stattfinden muss. Warum also eine Figur, die in Wirklichkeit noch mal Zugang zu anderen Ebenen von Informiertheit und Sicherheitspolitik hätte, nicht mal das wissen kann, was seit ein paar Jahren die durchschnittliche Mediennutzerin mitbekommen haben könnte – dass es Feindeslisten und reale Bedrohung gibt.

    Stattdessen überhöht der Film den Terror von rechts an den falschen Stellen. Bonards Mann Kaya (Ercan Karacayli) ist Richter in einem Verfahren gegen rechtsextreme Schläger (die immer noch die Skinhead-Bomberjacken-Montur der Neunzigerjahre tragen), das dann aber nicht zustande kommt, weil der Staatsanwalt einen Rückzieher macht. Der Grund: Er ist von den Angeklagten entführt und, eingepackt in einen Plastiksack, mit dem Tod bedroht worden. Dabei braucht es solche Drastik gar nicht, wenn man sich anschaut, wie in der Realität rechter Terror nicht beim Namen genannt wird vor Gericht.

    Wie weit entfernt die Inszenierung von Kontur und Genauigkeit ist, zeigen auch die Szenen mit Najim Saad (Shadi Eck), einem jungen Syrer, der als Zeuge helfen soll, dabei aber albern radebrechen muss. Filmisch bleibt von Nichts als die Wahrheit dann nicht viel mehr übrig als die Mechanik des Plots – dass man halt Figuren beim Gekurve durch die Geschichte zusieht.

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    Author: Mrs. Elaine Beck

    Last Updated: 1704627722

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